Wildblumen als Zeichen und Symbol
Zum Beispiel hat "Die Zeit" vor ein paar Wochen eine Aktion gestartet, die in ihrem Pragmatismus aufhorchen lässt. Der Ausgabe vom 4. Mai 2023 lag ein Tütchen mit Blumensamen bei. Ein Expertenteam hat 25 verschiedene Pflanzenarten pro Tütchen ausgewählt. Sie sollen auf einem Quadratmeter den größten Nutzen für die Artenvielfalt bringen. Denn darum geht es bei der Aktion: Einen Quadratmeter zu bepflanzen, um die Welt bunter, vor allem aber insektenfreundlicher zu machen. Toll! Am 6. Mai waren die Samen schon in der Erde. Eine Woche später keimten sie bereits.
Keine große Sache, könnte man meinen. Aber irgendwie doch. Zum einen macht es einfach Freude, die Pflanzen wachsen zu sehen. Der viel größere Nutzen besteht jedoch darin, tausende von Quadratmetern mit Widblumen zu begrünen. Das ist weitaus mehr als aktiver Umweltschutz. Es ist ein Zeichen, ein Symbol.
Dafür müssen allerdings die Leser der Zeitung und vielleicht ein paar ihrer Bekannten mitmachen. Leider ist das nicht jedermanns Sache. Bei manchen ist die gute Absicht noch nicht umgesetzt und das Tütchen liegt ungenutzt im Regal. Andere wollen ihren gepflegten Garten nicht mit "diesem Unkraut" verunstalten. Dritte finden solche Aktionen von vornherein blöd.
Es ist die Frage nach Veränderung
An diesem Punkt beginnt die philosophische Auseinandersetzung mit der Idee. Was, zum Beispiel, lässt sich bewirken - oder ist alles sowieso vergebens?
Sicher kann niemand leugnen, dass es immer weniger Insekten gibt. Jedenfalls klatscht beim Autofahren kaum noch ein Insekt an die Windschtuzscheibe. Früher war das anders. Daraus ist unmittelbar abzuleiten, dass es heute sehr viel weniger Insekten gibt. Also wäre es doch gut, dazu beizutragen, dass sich Insekten wieder ausbreiten. Unbestritten sind sie für die Natur wichtig - und damit auch für uns Menschen.
Aber. Immer gibt es ein Aber. Natürlich lässt sich auch das Insektensterben leugnen, beziehungsweise die Schuld daran irgendwelchen Konzernen geben. Das ist weit genug weg, um nicht selbst aktiv werden zu müssen. Es reicht gerade noch für eine Klage: Ach ja, da kann ein einzelner Mensch leider nichts ausrichten.
Kann er doch. Beispielsweise einen Quadratmeter Wildblumen pflanzen. Aber, ist zu hören, dafür habe ich keinen Platz mehr in meinem Garten / auf meinem Balkon / auf meiner Terrasse / am Fenstersims....
Sokrates ging in Athen über den Markt und stellte Fragen. Unangenehm müssen diese Fragen seinen Mitmenschen gewesen sein, denn sonst wäre er sicher nicht zum Tod verurteilt worden. Heute muss die Frage schlicht lauten: Warum veränderst du nichts? Was soll ich verändern? wird der eine oder andere zurückfragen. Darauf gibt es eine ganz einfache Antwort: Besitze weniger Dinge.
Über den Quadratmeter hinausdenken
Noch bis in das 19. Jahrhundert hinein besaßen die Menschen durchschnittlich nur ein paar hundert Dinge in ihrem Leben. Inzwischen erreichen die Besitztümer jedes einzelnen Menschen die Millionengrenze. Jeden Stift, jedes Schnürband, jede Batterie und jedes kleine Spielzeug mitgerechnet. Wir sollten uns heutzutage also weniger Gedanken um das machen, was wir nicht haben, sondern um das, was wir haben. Damit könnte jeder Einzelne bereits großte Mengen an Rohstoffen und schädlichen Abgasen einsparen. In den meisten Fällen sogar, ohne sich sonderlich einschränken zu müssen.
Das Problem ist, dass viele Menschen Angst vor Veränderung haben. Dabei können Veränderungen das Leben bereichern. Es müssen ja nicht gleich die ganz großen Veränderungen sein. Manchmal genügt es schon, einen Qudratmeter Wildblumen zu pflanzen. Das verändert den eigenen Garten, den Balkon oder die Terrasse. Es verändert aber auch den Blick auf die Welt. Denn wer die Blumen wachsen sieht, achtet darauf, wo sonst noch Blumen wachsen - oder weshalb keine wachsen. Wer bereit ist, einen Quadratmeter seines Gartens für ein paar Blumen (und Insekten) umzugestalten, bleibt dabei vermutlich nicht stehen.
Das Leben kann simpel funktionieren
Das ist die eigentliche Leistung der Zeit-Aktion: Sie bringt manche Menschen vielleicht dazu, über den einen Quadratmeter hinauszudenken. Manche gestalten wahrscheinlich ihren Garten komplett um. Andere beginnen, sich irgendwo zu engagieren oder kommen über den Gartenzaun hinweg miteinander ins Gespräch, um festzustellen, dass sie zusammen schon zwei Quadratmeter gestalten.
Das klingt banal und auch ein wenig naiv. Ist es aber nicht. Viele Menschen haben verlernt, sich an den einfachen Dingen zu erfreuen und mit kleinen Schritten anzufangen. Ein Quadratmeter Wiesenblumen sind mehr, als kein Quadratmeter. Simpel.
Leider vergessen wir oft, dass unser Leben genauso simpel funktionieren kann. Veränderung heißt auch, nicht alles unnötig zu verkomplizieren. Halten wir es also einfach und pflanzen in aller Bescheidenheit einen Quadratmeter Wiesenblumen.
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