Montag, 24. Juli 2023

Weshalb uns Verzicht schwerfällt

In Aquarelltechnik gemalte Menschen in einem Kaufhaus, die an Waren vorbeiströmen und sie dabei neugierig beäugen.
Eines Tages setzte ich mir in den Kopf, eine Smartwatch zu kaufen. Ich hatte sie bei Freunden gesehen und sie gefiel mir. Den Vorteil sah ich vor allem darin, nicht fortwährend mein mobiles Telefon aus der Tasche ziehen zu müssen, um Mails und andere Nachrichten zu checken. Doch im Geschäft kamen mir Zweifel. Nicht nur der Preis, sondern auch Gewicht und Größe sagten mir nicht zu. Brauche ich wirklich dieses Gerät? Ich begann mich zu informieren - und je mehr ich las, desto weniger überzeugte mich die Smartwacht noch. Doch der Wunsch, eine solche Uhr zu besitzen, saß tief in mir. Also gab ich nach und betrat ein paar Tage später mit der festen Absicht, den Kauf diesmal zu tätigen, einen zweiten Laden. Der Verkäufer pries die Smartwatch mit den Worten an: "Die kann wirklich alles, was auch ihr mobiles Telefon kann." Wozu, dachte ich in diesem Moment bei mir, brauche ich sie dann. Ich verließ das Geschäft mit dem guten Gefühl, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

Warum fällt es schwer, zu verzichten?

Seitdem rumort es in mir. Ich komme nicht darüber hinweg. Manchmal ertappe ich mich, wie ich mir vorstelle, eine Smartwatch am Handgelenk zu tragen. Dabei besitze ich eine gute analoge Uhr. Und meine Argumente sind richtig, sagt mir meine Vernunft. Ich brauche keine Smartwatch. Dennoch. Ich hätte so gerne eine, meint eine andere Stimme. Quatsch, antwortet die Vernunft, sie hat keinerlei Nutzen für dich. Diese Auseinandersetzung mit mir selbst führe ich tagelang. Wenn ich denke, es ist vorbei, flackert der Wunsch unverhofft wieder auf. Zum Beispiel neulich, als mir jemand stolz seine Smartwatch vorführte. Nein, sage ich mir dann, du brauchst das Ding nicht. Aber ich gebe zu, es fällt mir schwer, darauf zu verzichten.

Sozialer Druck zwingt zu Konsum

Weshalb? Der Verzicht ist für mich die richtige Entscheidung. Oder doch nicht? Hinter der Smartwatch, diesem Gerät aus unserer Dingwelt, steckt eindeutig mehr, als nur eine intelligente Maschine. Seine Technik ist eine Maske. In Wirklichkeit verbinde ich damit Teilhabe und einen Zuwachs meiner Bedeutung in der Welt. Verzicht ist gleichzusetzen mit Ausschluss aus der Achtung gebietenden Dingwelt unserer Gesellschaft. Wer nicht ausreichend Gemeinsamkeiten vorweisen kann, gehört nicht dazu. Zum Beispiel ist es fast unmöglich, ohne mobiles Telefon unterwegs zu sein. Arbeit, Familie, Freunde - alles hängt inzwischen an der ständigen Erreichbarkeit.

Es gibt ihn, den sozialen Druck. Viele Frauen fühlen sich nicht wohl, ungeschminkt aus dem Haus zu gehen. Sie spüren fragende Blicke, hören abfällige Bemerkungen, erleben Ablehnung. Deshalb jagen wir Trends nach. Wir wollen dazu gehören. Dieser Gruppenzwang steuert ein Großteil unseres Konsumverhaltens. Deshalb möchte ich unbedingt eine Samrtwatch haben. Sie ist für mich mehr als nur eine Uhr. Meine Vorstellung suggeriert mir gesteigertes Ansehen und Machtzuwachs. Mein Bekanntenkreis erweitert sich, weil ich dazugehöre. Menschen nehmen mich verstärkt wahr. Weil ich noch erreichbarer bin, fallen mir neue Aufträge zu. Wegen einer einzigen Smartwatch dreht sich die Welt plötzlich um mich.

Ein Kreislauf der materiellen Wünsche

Ernst Bloch hat über solche Tagträume in seinem Werk "Das Prinzip Hoffnung" philosophiert. Wir brauchen sie, um unseren Platz in der Welt zu finden. Aber wir sollten uns nicht zu sehr von ihnen im täglichen Leben lenken oder gar hindern lassen. Sie sind weder wirklich, noch realistisch. Ihre Nichterfüllung macht uns missmutig. Deshalb hält die Freude an einem neuen Ding meist nicht lange an. Die ersten Nachrichten auf der Smartwatch hätten mich wohl hocherfreut. Dann würde das Ding an meinem Handgelenk Routine. Bald wäre klar, dass es zwar seine technische Funktion erfüllt, nicht aber mein soziales Verlangen. Ich spüre keinen Zuwachs an Bedeutung und verliere das Interesse an dem Ding. Vielmehr: In mir wächst das Gefühl, ich brauche unbedingt ein neues Ding, mit dem sich meine Träume erfüllen. 

Die Menschen in unseren modernen Gesellschaften bewegen sich in einem Kreislauf der materiellen Wünsche. Konsumieren steigert das Selbstbewusstsein. Zumindest für kurze Zeit. Das macht Verzicht fast unmöglich. Der soziale Druck von außen sowie die Tagträume in uns drängen die Menschen zu immer neuen Anschaffungen. Der Wirtschaft ist es recht. Deshalb befördert sie das Verlangen durch Marketing und Werbung. Doch macht der Konsum die Menschen zufriedener?

Verzicht schenkt uns neue Möglichkeiten

Sicher für eine gewisse Spanne. Dann folgen Ernüchterung und das nächste Bedürfnis. Verzicht ist dagegen dauerhaft. Klar, wir besitzen ein Ding nicht. Da ist eine Lücke. Die Kunst besteht darin, diese Lücke sinnvoll zu füllen. Was hätten wir ausgegeben, um irgendein Ding zu kaufen? Für das Geld können wir Freunde einladen, gemeinsam ein Event besuchen, ein Abenteuer erleben. Oder wir nutzen die Zeit, die wir uns ansonsten mit dem neuen Ding beschäftigt hätten, um endlich wieder ein Buch zu lesen, einen Spaziergang zu machen oder eine Ausstellung zu besuchen.

Vermutlich werden wir feststellen, dass all diese Aktivitäten uns mehr Bedeutung schenken, mehr Freude sowie den einen oder anderen neuen Kontakt. Netzwerke werden in unserer Welt immer wichtiger. Die bauen wir nicht über Dinge auf, sondern indem wir in die Welt gehen und Leute kennenlernen. Das Zauerwort heißt "Face to Face". Wie sonst kann man heutzutage noch darauf vertrauen, mit realen Menschen zusammenzukommen und nicht mit irgendeinem menschengleichen Avatar, der von einer künstlichen Intelligenz erschaffen wurde.

Verzicht führt also nicht ins Unglück. Aber er sollte gekonnt ausgeführt werden. Nicht jeder Verzicht ist sinnvoll. Verzichten wir beispielsweise auf Essen, Trinken oder Schlaf, bekommt uns das schlecht. Manche Grundlagen sind unverzichtbar. Die meisten Einflüsterungen der Konsumgesellschaft und unseres beeinflussten Ich sind es nicht. Niemandem fällt das aber leicht. Doch der Lohn des Verzichts ist die Stärkung unseres Selbst auf der Suche nach unserem eigenen Weg durch das Leben. 

Manchmal, seltener inzwischen, denke ich noch daran, wie schön es wäre, eine Smartwatch zu tragen. Dann lächle ich, schüttle den Kopf und schreibe darüber.

Samstag, 22. Juli 2023

Eine weltweite philosophische Community

Menschen versammeln sich und blicken auf die blaue Erdkugel, sie stehen kurz vor einem Aufbruch, eine fiktive Schrift steht über der Szene.
Abenteuer Philosophie ist aus der Idee heraus entstanden, sich zu philosophischen Gesprächen zu treffen. Der Blog dient als Ergänzung und Fortführung dieser Runden in der realen Welt. Er füllt die Zeit zwischen den Treffen mit Themen und Austausch - und erreicht eine größere Zielgrupppe als es bei regionalen Veranstaltungen möglich ist. Doch der Charakter des Blogs ist ähnlich: Es geht um Treffen und Austausch.

Mitgestalten erwünscht

Entsprechend bietet die Seite mittlerweile die Möglichkeit, eine Mailadresse zu hinterlassen, um an diesem philosophischen Austausch teilzunehmen. Oben öffnet sich nach einiger Zeit eine Leiste zu diesem Zweck. Bitte macht davon Gebrauch, damit die Community wächst. Weiterhin findet ihr links social Media Buttons, mit denen ihr Inhalte des Blogs in den sozialen Netzwerken teilen könnt. Schließlich entdeckt ihr rechts unten das WhatsApp Symbol. Damit könnt ihr mir direkt eine Nachricht senden, um euch mit Ideen und Themenvorschlägen an Abenteuer Philosophie zu beteiligen.

Jeder kann die Vision Wirklichkeit werden lassen

Die Vision dieses Netzwerks ist es, überall auf der Welt philosophische Treffen zu initiieren und eine weltweite philosophie Community aufzubauen. Denn nur wenn möglichst viele unterschiedliche Menschen miteinander ins Gespräch kommen, werden Gesellschaften sich annähern und verändern. Über Kulturen, Nationen und Ethnien hinweg.

Jeder kann dazu beitragen, dass diese Vision Wirklichkeit wird: Mailadresse hinterlassen, Blogbeiträge kommentieren und teilen, Ideen und Themenvorschläge einbringen, in der eigenen Umgebung einen philosophischen Gesprächskreise unter dem Label "Abenteuer Philosophie" gründen und hier auf dem Blog oder per WhatsApp darüber berichten. Oder was euch auch immer darüber hinaus einfällt.

Ich freue ich auf eine vielfältige Community, die einen offenen, sachlichen und inhaltlich spannenden Austausch pflegt. Lasst mich gerne auch wissen, was euch an diesem Blog gefällt und was aus eurer Sicht noch zu optimieren ist. Danke!

Montag, 17. Juli 2023

Ein Zug ins Nirgendwo

Ein Zug, gemalt in Öl im Stil des Impressionismus, fährt auf zusammenlaufenden Gleisen ins NIrgendwo
Ein Zug fährt von irgendwo nach nirgendwo. Offensichtlich ein Streckenabschnitt. Der Betrachter sieht die vorbeirauschenden Waggons. Aber er weiß nichts von der Abfahrt oder Ankunft des Zuges. Die Reisenden in den Abteilen ahnt er nur, kann sie aber auch durch die schnell sich bewegenden Fenster nicht erkennen. Die Landschaft ist karg, ganz auf die Bahnsstrecke ausgerichtet. Sie scheint nur für den Zug gemacht. Für diesen einen oder für mehrere? Der Betrachter weiß auch dies nicht, setzt aber unwillkürlich voraus, dass regelmäßig Züge auf dieser Strecke fahren.

Wir können nur hilflos spekulieren

In der Wiederholung der immer gleichen Szene liegen Abschied und Ankunft, Fern- und Heimweh, sogar Geselligkeit und Einsamkeit eng beieinander. Der Zug fährt, aber er wird niemals ankommen. Immer wieder startet er neu, verschwindet auf wunderbare Weise aus unserem Blick und taucht plötzlich am anderen Ende erneut auf. Woher kommt er, welche Runde hat er gedreht. Wir wissen es nicht und können nur hilflos spekulieren. Endlos. Oder vielmehr potentiell endlos, denn wir haben die Möglichkeit, seine Schleife jederzeit zu beenden. Was wir irgendwann auch tun.

Philosophie setzt immer wieder neu an

Dieser Zug ist ein Sinnbild für unsere gedankliche Reise in der Philosophie. Denn obwohl schon viele kluge Gedanken zu Papier gebracht wurden, beginnen wir doch immer wieder von vorne. Wir stehen kaum auf den Schultern von Riesen, weil diese Riesen im Denken ihrer Zeit gefangen waren. Auch, wenn sie darüber hinausgingen, sind ihre Gedankengebäude doch geprägt von ihren Erfahrungen. Hegel zum Beispiel definierte Freiheit als politische Freiheit, denn die Stand im 18. und 19. Jahrhundert ganz oben auf der Agenda. Gleichzeitig stellte er die damals noch übliche Sklaverei nicht in Frage. Wir können zwar heute noch von Hegel lernen, müssen ihn aber in seiner Zeit betrachten und seine Philosophie kritisch hinterfragen. Gleiches gilt selbstverständlich für alle anderen Denker. Ingeborg Bachmann brachte es folgendermaßen auf den Punkt: "Schriftsteller kommen aus der Zeit und gehen in die Zeit." Manchmal fallen sie auch aus der Zeit.

Wie der Zug setzt unsere Philosophie also immer wieder neu an, legt eine Strecke zurück, ist dann außer Sicht und startet wieder. Vielleicht nicht gänzlich von Beginn. Wie sich auch bei einem Video im Laufe der Zeit die Pixel verschieben und es sich zunächst kaum sichtbar und nach Jahren immer mehr verändert, beeeinflussen uns die Menschen, die vor uns da waren. Ihr Denken zeigt uns eine Richtung. Es beeinflusst die Wirklichkeit. Damit hat es seine Aufgabe erfüllt. Wir dagegen stehen vor der Herausforderung, in der neuen Wirklichkeit wieder mit dem Denken anzufangen.

Wir fahren weiter

Also sind es keine endlosen Wiederholungen, in denen wir denken. Wir fahren - bildlich gesprochen - nicht ständig dieselbe Strecke ab wie der Zug. Nein. Wir legen unsere Entfernung auf einem neuen Abschnitt zurück, der von den Menschen eine Generation früher geschaffen wurde. Auf diesem Weg sind wir verdammt zu fahren. Es gibt keinen anderen für uns. Es ist genau dieser eine Bereich, den wir erkunden. Danach geben wir die Verantwortung ab und unser Denken wird zuerst verblassen und dann veralten. Das Gleis ist frei für die Menschen nach uns.

Eine bedrückende Vorstellung? Ganz und gar nicht. Im Gegenteil. Wir fahren weiter - nur kennen wir unser neues Ziel nich nicht.

Ein blauer Zug fährt in diesem Gif immer und immer wieder dieselbe Strecke