Samstag, 23. Dezember 2023

Anderwelt: Niemandsland

Manches in der Philosophie lässt sich einfach nicht mit Worten ausdrücken. Wer es dennoch versucht, gerät schnell in sehr unruhiges sprachliches Fahrwasser. Von komplizierten Verschachtelungen über aberwitzige Satzstrukturen bis zu Wortneuschöpfungen versuchen Philosophen alles, um ihre Gedanken zu verschriftlichen. Dabei kommen allerdings schwer verständliche Buchungetüme heraus, die eher geistiger Akrobatik gleichen. Die Folge: Es bleibt einer Minderheit vorbehalten, sich mit den Ideen auseinanderzusetzen. Oft dauert es Jahre des Studiums, um zu Verständnis zu gelangen. Das ist wirklich schade, denn hinter der Suche nach Ausdruck verbergen sich oft bahnbrechende Ansätze, mit denen sich möglichst viele Menschen beschäftigen sollten. Doch unsere Sprache ist unzureichend und nicht alles, was wir fühlen und denken, lässt sich in klare und vor allem verständliche Worte packen.

Ein neuer interaktiver Podcast von David Jonathan

Zu Hilfe eilt uns die Literatur. Sie appelliert an unsere eigene Fantasie und leitet sie nur mit einfachen Worten an, um uns auf einen gedanklichen Weg zu bringen. Alles weitere überlässt sie danach getrost ihren Lesern. Wobei es unsere moderne mediale Welt ermöglicht, dass aus Lesern auch Zuhörer oder gar Zuschauer werden. Auf allen Ebenen wird mit Bild, Ton und Schrift kommuniziert. Dem verschließt sich auch "Abenteuer Philosophie" nicht und präsentiert den neuen Podcast "Anderwelt" von David Jonathan. 
Darin geht es um einen Jemand, der nach einem Zugunglück plötzlich auf einer grünen Wiese erwacht und nicht weiß, wo er sich befindet. Träumt er nur, dass er in ein Haus geht und Kontakt zur Außenwelt aufnimmt? Liegt er in Wirklichkeit in einem Krankenhaus und wird behandelt? Er selbst hat keine Antworten darauf. Deshalb versucht er über einen alten Computer zu kommunizieren. 

Über Sprachnachrichten mit der fiktiven Welt kommunizieren 

An dieser Stelle kommen die Zuhörer ins Spiel. Der Podcast ist interaktiv. Jeder kann sich daran beteiligen, indem er mit dem Jemand aus der Geschichte kommuniziert. Zum Beispiel über die Kommentarfunktion auf diesem Blog, per Mail oder in den Sozialen Medien. Jede Beteiligung hat direkten Einfluss auf die Handlung. Sprachnachrichten können mit Zustimmung des Absenders sogar in eine der Podcast-Episoden eingebunden werden. So kommunizieren Zuhörer mit der fiktiven Welt.
"Mein Projekt ist ein Experiment", erklärt David Jonathan. "Es geht darum, reale und virtuelle Welt miteinander zu verbinden. Dabei stellen wir vielleicht fest, dass beide gar nicht so verschieden sind."
"Anderwelt" ist gerade erst gestartet. Die erste Folge der Serie gibt es jetzt auf Amazon Music und anderen Podcast-Plattformen zu hören. Je mehr Zuhörer sich am Projekt beteiligen, desto spannender und realistischer wird die Geschichte. "Auf die Resonanz bin ich sehr gespannt", meint David Jonathan. "Wenn nicht nur ein Autor die Handlung beeinflusst, wird der Ablauf unberechenbarer und damit nicht nur realistischer, sondern auch spannender." Einstweilen arbeitet David Jonathan an Folge Nummer zwei. Wann steigen die ersten Zuhörer ein?

"Anderwelt" - der etwas andere Podcast. Ab sofort überall dort, wo es Podcasts gibt.


Der Link zum Podcast "Anderwelt" auf Amazon Music


Sound Effect from Pixabay 

Sonntag, 30. Juli 2023

Dafür sein

Das Ölgemälde zeigt sinnbildlich das dafür und dagegen im expressionistischem Stil
"Wofür steht ihr?“ frage ich Schüler im Alter zwischen 13 und 16 Jahren. Große Augen, langes Schweigen. „Na kommt, für irgendetwas müsst ihr doch stehen“, dränge ich. Da antwortet endlich einer: „Ich bin voll für gegen Gewalt“, meint er. Das Mädchen neben ihm ergänzt: „Und wir sind natürlich für gegen rechts.“ Der Damm ist gebrochen. Viele rufen durcheinander. Es stellt sich heraus, dass alle „für gegen“ irgendetwas sind: Handyverbot in der Schule, Klimawandel und natürlich die Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft. 

Interessant ist die sprachliche Umkehr. Das neue „dafür“ ist ein „dagegen“. Eine negativ Formulierung. Es geht nur um den Erhalt des Status quo, keinesfalls um Veränderung oder gar einen Aufbruch. Das „für“ ist ein aktiver Schritt. Ein „dagegen“ nur ein lassen. Mit anderen Worten: Um für etwas zu sein, braucht es Ideen, während das dagegen sein die Einstellung anderer negiert. Die Gesellschaft tendiert also gegenwärtig zum Aufhalten und nicht zum Machen.

Nur ein für wiedersetzt sich dem dagegen

Dabei ist ein „für“ viel spannender. Neues entdecken, wagen und ausprobieren bringt Menschen, Gruppe und ganze Gesellschaften voran. Außerdem zeigt es eine grundsätzliche Lebenseinstellung. Wer sich für etwas einsetzt beginnt gerne jeden neuen Tag, ist meist positiv gestimmt und voller Elan. Er ärgert sich nicht darüber, dass ihm vielleicht etwas weggenommen wird, sondern freut sich über das Neue, das er erreicht. Was nicht funktioniert, verwirft er und setzt seinen Weg auf einem anderen Pfad fort. Er kämpft für seine Ideen und nicht gegen das Denken von anderen. Ein himmelweiter Unterschied. 

Das gilt gleichermaßen im Privatleben, wie in Politik und Wirtschaft: Ein dagegen führt zu Stagnation, was ein noch größeres dagegen bedingt. Äußere Feinde werden erschaffen, um ein dagegen zu stärken und die eigenen Unzulänglichkeiten auf sie abzuwälzen. Ein Teufelskreis, der nur auf eine einzige Art und Weise durchbrochen werden kann – mit einem kräftigen „für“.

Fünf Tipps, wie ein Wechsel aus der „dagegen Haltung“ in eine „für Kultur“ gelingen kann:

1. Die eigene Einstellung erkennen und reflektieren: Es ist wichtig, selbst den ersten Schritt aus eigenem Wollen zu gehen. Als gutes Mittel eignet sich dabei die Beobachtung der Wortwahl. Wie oft kommt ein „dagegen“ darin vor? Außerdem verrät der Lebenswandel viel über die Einstellung eines Menschen. Baut er auf oder verwaltet er sein Leben? Ist er vielleicht aus Neid auf den Erfolg anderer gegen etwas? Oder, weil er einfach seine Ruhe haben möchte?

2. Das dagegen sein durch eine Alternative ablösen: Daran mangelt es meist. Wenn es jedoch gelingt, ist dieses Vorgehen oft erfolgreich. Wie das alkoholfreie Bier – eine Alternative für Autofahrer, die nicht auf den Biergeschmack verzichten möchten. Der Anlass dieser Innovation war die Aktion gegen Alkohol am Steuer. Gibt es im eigenen Leben Alternativen für ein bloßes dagegen sein?

3. Sprache und damit Denken verändern: Das negative Wort „dagegen“ möglichst häufig im eigenen Sprachgebrauch ersetzen. Als positive Wendungen eignen sich „für“, „alternativ“, „aufbauend“, „innovativ“, „ergänzen“ und einige mehr. Durch die Sprachwahl entstehen neue Denkmuster, die sich vorteilhaft auf die eigene Stimmung und das Handeln auswirken. 

4. Aufbau statt Ablehnung: Es ist einfach, dagegen zu sein, aber viel schwerer, etwas aufzubauen. Doch nur der Aufbau hilft, das zu verändern, wogegen man sich wendet. Ein Beispiel ist China. Mit seinem Projekt der „Neuen Seidenstraße“ baut das Land auf. Wenn auch umstritten, ist es eine wirkmächtige Idee, durch die China die bisherige Vormachtstellung der westliche Welt zurückdrängt. 

5. Menschen, die gegen etwas sind, für eine Idee gewinnen: Das ist der möglicherweise schwerste Schritt. Aber er ist notwendig, um die Stimmung einer Gruppe aufzuhellen und damit auch ihr Verhalten. Eine Menge Menschen wollen sich aufregen und ärgern. Sie schimpfen gerne über alles. Sie zu motivieren und zu begeistern für eine Sache einzustehen, kann ungeheure Energie freisetzen und vieles positiv verändern.

Auf zu neuen Ufern

Diese fünf Tipps können helfen, aus der negativen Haltung des dagegen seins auszubrechen und zu einem Macher zu werden, der für Ideen kämpft, anstatt nur die Einstellung anderer abzulehnen. Wer strikt gegen etwas ist, will hauptsächlich bewahren und erkennt nicht, dass die Zeit längst abgelaufen ist. Ein dafür sein ist meist der Aufbruch zu neuen Ufern. Dort warten meist interessante Ideen, spannende Erkenntnisse, kluge Menschen und aufregende Möglichkeiten. Die Gefahren sind nicht zu unterschätzen – die Chancen überwiegen jedoch meist. 

Teilt eure Erfahrungen mit dem dagegen und dafür sein gerne in den Kommentaren.

Donnerstag, 27. Juli 2023

Individualität ist Illusion

Menschen als schwarze Silhouette stehen vor einem Kino in pink
Eine Gruppe Menschen steht vor dem Kino. Hosen, Shirts und Kleider - alles pink. Strahlende Gesichter, Erinnerungen werden ausgetauscht. "Ich hatte den Reitstall und den Camper", sagt eine ältere Frau. "Das Haus und die Küche waren traumhaft", nickt eine andere. Momentaufnahmen im Vorbeigehen. Doch auch dem zufälligen Beobachter ist sofort klar: Die Leute haben gerade den Barbie-Film gesehen.

Historische Abschnitte

Woher kommt diese Gewissheit, ausgelöst von Wortfetzen und Farbsignalen? Sie ist Teil unserer kulturellen Identität. Geprägt durch gemeinsame Erinnerungen und ähnliche Erlebnisse in einer konformen Gesellschaft innerhab eines sich überschneidenden Zeitrahmens. Mit anderen Worten: Wir Menschen sind gar nicht so individuell, wie wir denken. Wer in einen historischen Abschnitt hineingeboren wird, ist beeinflusst von besonderen Ereignissen und Lebensumständen.

Kollektives Gedächtnis und vermeintliche Einzigartigkeit

Insbesondere in der heutigen medialen Massengesellschaft verbreiten sich Ansichten und Meinungen gleichmäßig über alle Regionen und durch jede gesellschaftliche Schichte. Gleichaltrige sind mit derselben Fernsehwerbung aufgewachsen, kennen dieselben Witze, tanzen zur selben Musik und verfügen über eine große Sammlung gemeinsamer geschichtlicher Erinnerungen. Neu ist seit der Entstehung der Kulturindustrie die Ausweitung des kollektiven Gedächtnisses auf große Gruppen, die sich als Nationen verstehen. Mit der Globalisierung durchmischen sich diese Gruppen einerseits vor allem auf virtueller Ebene. Doch schließen sie sich in der realen Welt oftmals auch aus. Menschen sind neugierig aufeinander und haben voreinander Angst. Sie fühlen sich in der Masse wohl, betonen aber ihre Individualität.

Je mehr sich Menschen vernetzen, müssen sie jedoch erkennen, dass ihre Individualität nur eine vermeintliche Einzigartigkeit ist. Als Kind glaubt jeder, der eigene Name, die Gedanken, die ihm durch den Kopf gehen, die besonderen Rituale in der Familie seien exklusiv. Das ist nicht der Fall. Das Internet zeigt jeden Tag, wie oft jede Idee gedacht, jede Stimmung durchlebt wird, wie viele Menschengruppen in pink gerade vor einem Kino stehen und in Erinnerungen an ihre Barbiewelt schwelgen.

Flucht aus der Barbiewelt

Wir wissen das, wollen es aber nicht wahrhaben. Die Menschen sind ambivalent, was ihre Zugehörigkeit zur Menschheit betrifft. Sie möchten eins sein, aber als Einzelne wahrgenommen werden. Deshalb wählen Frauen für Veranstaltungen mit Bedacht ihre Kleider aus und sind enttäuscht, wenn eine andere dasselbe Kleid trägt. Darum lassen sich immer mehr Leute tätowieren. Sie wollen ihrer Individualität Ausdruck verleihen, nur um festzustellen, dass tausende Andere es ihnen gleichtun. Es gibt kein Entrinnen vor der Gleichartigkeit, weil wir in unserer Zeit ähnliche Lebensumstände vorfinden, ähnliche Erfahrungen machen, weshalb wir auch ähnlich denken und fühlen.

Oder gibt es doch einen Ausweg aus dieser Barbiewelt, die wir uns selbst erschaffen? Viele Menschen fühlen sich in der Geborgenheit der Masse wohl. Ihnen genügen kleine Beweise für ihre Individalität, wie ein Schmuckstück oder eine Wesensart, die in ihrer Gruppe nur mit ihnen in Verbindung gebracht wird. Sie sind glücklich, eingebunden zu sein und aufgrund äußerer Merkmale als Person erkannt zu werden. Wer aber die Flucht aus der Barbiewelt antreten will, der muss sehr, sehr weit nach vorne laufen. Die Avantgarde ist zwar eine einsame Position, dafür kann sie für sich tatsächlich Einzigartigkeit in Anspruch nehmen. Allerdings nur kurze Zeit. Denn die Vorläufer werden eingeholt und kopiert, bis auch sie wieder in der Masse untergehen. Selbst der erste Mensch auf dem Mond durfte sich nicht lange seiner Einzigartigkeit rühmen. Nach ihm landeten alsbald andere Astronauten und hinterließen ebenfalls ihr Fußabdrücke auf dem Erdtrabanten.

Diese Lehre immerhin vermittelt uns der Barbie-Film: Individualität ist Illusion. Bildlich gesprochen laufen wir alle in pinken Outfits durch die Welt. Aber manche Kleider haben einen Kragen, andere sind ärmellos und die Längen variieren auch. Wem das nicht ausreicht, der kann es ja mit Blau oder Grün probieren. Aber nicht über die schiefen Blicke und das Gerede hinter vorgehaltener Hand wundern. Das gibt sich. Irgendwann wechseln alle die Farbe ihrer Kleidung.