Freitag, 23. Juni 2023

Philosophischer Austausch über Grenzen hinweg

Künstliche Intelligenz kann beängstigend sein, bietet aber auch Chancen
Abenteuer Philosophie live geht in die zweite Runde. Am 11. Juli 2023 treffen wir uns ab 19:00 Uhr zum Thema "Künstliche Intelligenz - wie verändert sie unsere Gesellschaft?" Jeder ist herzlich eingeladen. Hier gibt es weitere Informationen zu der Veranstaltung.

Die Vision hinter den Treffen: In naher Zukunft werden philosophische Gespräche in diesem Format überall auf der Welt stattfinden. Die verschiedenen Gruppen vernetzen sich und tauschen sich aus. Alle lernen von allen - multikulturell und vor allem über nationale Grenzen hinweg. Ein echter philosophischer Austausch. Denn was Philosophie wirklich ausmacht ist unstillbare Neugier - auf neue Themen und das Denken anderer Menschen. 

Keine einzige Minute langweilig

Genau diese Neugier war schon beim ersten Treffen vor ein paar Wochen zu spüren. Menschen kamen zusammen, um miteinander zu reden. Mehr als drei Stunden - und es war keine einzige Minute langweilig. 

Dieses Mal wird es wieder eine Premiere geben. Zum ersten Mal diskutiert eine KI mit und wird sich mit unserem Thema aktiv auseinandersetzen. Dabei geht es um die ethischen, sozialen, kulturellen Herausforderungen und Chancen von künstlicher Intelligenz. Erwartet wird ein spannender Dialog zwischen verschiedenen Intelligenzformen, die sich gerade erst kennenlernen.

Jeder kann mitmachen

Wer seine eigene Veranstaltungsreihe unter dem Titel "Abenteuer Philosophie live" ins Leben rufen möchte, kann damit jederzeit starten. Einzige Bedingung: Bitte hier auf dem Blog darüber berichten. 

Das gilt natürlich auch für Themen: Alle sind eingeladen, diesen Blog für eigene Beiträge zu nutzen. Einfach zur Veröffentlichung an mich mailen. Ich bin gespannt auf vielfältige Inhalte.

Dienstag, 20. Juni 2023

Das Gras wachsen hören

Auf Augenhöhe mit seiner Umgebung zu sein, verschafft unmittelbar neue Eindrücke
Manche Menschen hören das Gras wachsen. Natürlich nicht wortwörtlich. Vielmehr sind sie so sensibel, dass sie schon durch kleinste Anzeichen zu erkennen glauben, wie sich eine Situation entwickeln wird. Sie haben also einen scharfen Spürsinn. Das macht sie allerdings auch anfällig für grüblerische Gedanken über echte oder eingebildete Probleme. Daher sind solche Menschen oft überängstlilch oder sogar panisch.
Doch darum geht es nicht. Vielmehr ist die Frage: Was wäre, wenn wir tatsächlich das Gras wachsen hören könnten? Was hätte es uns zu sagen?
Wahrscheinlich würde es flüstern. Weil wir es kurz halten, kann es überhaupt nicht laut sein. Das Gras würde uns bitten, wachsen zu dürfen. "Einmal richtig hoch stehen und blühen", träumen die kurzen grünen Halme. "Und Schluss mit den Mährobotern", fügen sie ärgerlich hinzu. "Tag und Nacht fahren sie über uns weg und hinterlassen nichts als Grasschnippsel."

Der Tratsch interessiert uns nun doch

Wir stellen schnell fest, Gras hat es heutzutage nicht leicht. Obwohl es gehegt und gepflegt wird. "Wir sollen nur ein grüner Teppich sein", klagen die Grashalme. "Dann werden wir auch noch vielerorts durch Kunstrasen ersetzt und deshalb immer weniger." 
Klagen, nichts als Klagen, denken die Menschen und versuchen das Gras zu überhören. Aber das besinnt sich und beginnt über unsere Nachbarn zu flüstern. Wir stellen fest: Der Rasen ist bestens informiert und hören jetzt genauer hin. Der Tratsch interessiert uns nun doch. Was es alles zu erfahren gibt! Die Zeitungen und Magazine lagen so falsch. Unglaublich! Wenn auch noch das Korn auf den Feldern zu plaudern beginnt....
Viele Menschen lassen den Rasen jetzt wachsen, damit er höher steht und mehr mitbekommt. Er hat die volle Aufmerksamkeit und stöhnt über die Trockenheit. Daraufhin wird er gewässert. Er breitet sich aus und verbindet sich vielerorts. Seine Berichte werden präziser. Die Menschen schaffen ein Netzwerk des Grases. Nur wenige koppeln sich ab, indem sie auf ihren Rasenflächen Kartoffeln pflanzen. Sie gelten als Außenseiter. 

Wir würden uns wundern

Je mehr sich das Gras ausbreitet, desto festere Zäune bauen die Menschen allerdings. Sie wollen zwar jedes Detail über ihre Nachbarn wissen, beginnen sich aber gleichzeitig vor ihnen zu fürchten. Was der Rasen so über die berichtet! Man hegt und pflegt das Gras, aber man misstraut seinen Mitmenschen. Kein Wunder, die nutzen noch immer einen Mähroboter. Das Gras weiß alles! 
Nur gut, dass nicht so viele Menschen das Gras wachsen hören. Oder mit Bäumen sprechen. Wir würden uns wundern. Inzwischen ist bekannt, dass die Pflanzen im Wald tatsächlich sehr gut vernetzt sind und sich zum Beispiel vor Borkenkäfern warnen und kleinere Bäume mit Wasser versorgen. Pilze spielen eine wichtige Rolle bei dieser Kommunikation. 

Aus der skadinavischen Sagenwelt

Jedenfalls gibt es mehr Beziehungen in dieser Welt, als Menschen gemeinhin wahrnehmen. Wer weiß, inwieweit sie uns tagtäglich beeinflussen. Vielleicht hören wir eines Tages wirklich das Gras wachsen und finden es heraus. 
Übrigens leitet sich die Redensart "das Gras wachsen hören" von der skandinavischen Götter- und Heldensage "Edda" aus dem 13. Jahrhundert ab. Darin wird über Heimdall berichtet, den Wächter der Götter, der so gute Ohren gehabt haben soll, dass er "das Gras auf der Erde und die Wolle auf den Schafen" wachsen hören konnte.

Samstag, 17. Juni 2023

Afrika und die Entstehung der modernen Welt

Das Cover des vorgestellten Buches über die Entstehung der modernen Welt mit Blick auf Afrika
Die meisten Menschen in der westlichen Welt nehmen kaum zur Kenntnis, dass sie den Wohlstand ihrer Länder vor allem Afrika zu verdanken haben. Besonders die jahrhunderte lange Ausbeutung der Arbeitskraft afrikanischer Menschen hat zu Reichtum und Entwicklung Europas, später auch der sogenannten Neuen Welt, also hauptsächlich Nordamerikas, beigetragen. 

So steigerten Zuckerrohrplantagen, die auf Sklavenwirtschaft basierten, die durchschnittliche Kalorienzufuhr der Bürger Europas nachhaltig. Daraus folgte unmittebar weniger Hunger, größere Zufriedenheit und höhere Leistungsfähigkeit. Zusammen mit dem Kapital, das sich durch die billigen Arbeitskräfte anhäufte, trug dies entscheidend zur industriellen Revolution bei, die Europa entgültig an die Spitze der weltweit führenden Regionen katapultierte. 

Europa stieg auf, weil es Afrika ausbeutete

Natürlich passt es nicht ins schöne Selbstbild, dass der europäische Erfolg zum großen Teil auf Völkermord beruht. Millionen Afrikaner wurden verschleppt und mussten sich auf den Plantagen der Europäer zu Tode arbeiten. Ihre Lebenserwartung betrug fünf bis sieben Jahre. Wohlgemerkt derjenigen, die Gefangenschaft, Verschleppung und Überfahrt überlebten. Aufstände wurden brutal zerschlagen. Die Afrikaner galten als Besitz und nicht als Menschen. Selbst der berühmte erste Satz in der amerikansichen Unabhängigkeitserklärung: "Wir halten diese Wahrheit für ausgemacht, dass alle Menschen gleich erschaffen worden, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt worden, worunter sind Leben, Freiheit und das Bestreben nach Glückseligkeit." galt nicht für afrikanische Menschen, die als Skalven schufteten und eben nicht gleich und frei waren.

In seinem Buch Afrika und die Entstehung der modernen Welt (Klett-Cotta 2023, 508 Seiten, € 35,00) schildert der amerikanische Journalist Howard W. French eindrucksvoll die Zusammenhänge zwischen der Ausbeutung Afrikas und dem Aufstieg Europas. Dabei lässt er nicht die kulturellen und wirtschaftichen Mechanismen innerhalb Afrikas außer Acht, die den Sklavenhandel begünstigt haben. Vor allem aber berichtet er über das Wettrennen verschiedener europäischer Nationen von Portugal über Spanien bis England um Gold, Land und Menschen in Afrika. 

Selbst modernes Management wurde auf Plantagen entwickelt

Die New York Times bezeichnet das Buch als "eine ebenso schmerzhafte wie notwendige Lektüre, die demütig werden lässt". Zurecht. Von Kapitel zu Kapitel wird deutlicher, wie sehr sich Europa auf Kosten Afrikas bereichert hat - und wie groß der Anteil dieses lange verschmähten Kontinents an der Entstehung von Wirtschaftssytemen und politischem Denken unserer modernen Welt ist. So sind erste Vorstellungen von wirtschaftichem Management nicht erst, wie lange behauptet, im Zuge der industriellen Revolution entstanden, sondern bereits durch die Plantagenwirtschaft, um zu kalkulieren, wie Sklaven möglichst effektiv eingesetzt werden können.

Die Leistung von Howard W. French besteht darin, die schon im 15. Jahrhundert beginnende und sich allzu tragisch entwickelnde Beziehung zwischen Afrika und Europa, ohne die unsere Moderne nicht vorstellbar wäre, unverblümt und kenntnisreich darzustellen. Dabei steht der sachliche Bericht im Vordergrund und nicht irgendeine Schuldzuweisung. 

Afrika sollte endlich im europäischen Bewusstsein ankommen

An der Entwicklung und ihrem Resultat lässt sich heute nichts mehr ändern. Was jeder einzelne Mensch aber verändern kann, ist seine Sicht auf die Vergangenheit. Wenn wir den Blick auf Afrika richten, sollten wir daran denken, was wir diesem Kontinent zu verdanken haben und was Europa ihm seit Jahrhunderten zumutet. 

Ein guter Anfang ist die Lektüre des Buches von Howard W. French, damit die Geschichte Afrikas mit all ihren Verflechtungen zu Europa endlich in das Bewusstsein der Menschen rückt.