Samstag, 8. Juli 2023

Mit einem Lächeln durch die Welt gehen

Ein düster dreinblickender Mann mit einem Schild in der Hand, auf dem unverständliche Forderungen in künstlicher Sprache stehen.

Neulich im Zug: Zwei Mädchen steigen ein, vielleicht 16 Jahre alt. Sie unterhalten sich über Schule und die bevorstehenden Ferien. Eine der beiden legt dabei ihren Fuß samt Schuh auf den freien Sitz neben sich. Soll ich sie auffordern, das zu unterlassen? Nein, sage ich mir, soll sie ihre Freiheit austesten. 

Wenig später stehe ich auf, um auszusteigen. Ich schnappe mir meine Tasche und falle fast auf die Mädchen, als der Zug plötzlich einen letzten Schlenker vor der Haltestelle macht. Gerade noch packe ich einen Griff. Nichts passiert.

Doch als ich zur Tür gehe, ruft mir eines der Mädchen hinterher: "Wenigstens entschuldigen hätten sie sich können!"

Daraufhin drehe ich mich um und sage in aller Ruhe: "Würdest du deinen Fuß vom Sitz nehmen?"

"Nö", ist die Antwort.

"Dann bekommst Du auch keine Entschudligung", sage ich. "Höflichkeit gegen Höflichkeit. Oder?"

In diesem Moment öffnet sich die Tür und ich höre nicht mehr, ob es eine Erwiderung gibt.

Das Leben schreibt die nachdenklichsten Geschichten

Aber die kleine Episode nagt an mir, denn sie ist typisch für das gesellschaftliche Geschehen. Es wird mit unterschiedlichen Maßstäben gemessen. Das eigene Verhalten ist auf maximal freizügiges Verhalten ausgerichtet, wärend von anderen Menschen maximale Rücksichtnahme eingefordert wird. Natürlich kollidieren die unterschiedlichen Welten fortwährend.

Höflichkeit ist nur eine oberflächliche Tugend, solange sie nicht wirklich von Herzen kommt, schreibt das Philosophie Magazin. Doch sie hilft, die Begegnung von Fremden zumindest verträglich zu gestalten. Nicht nur das: Zusammen mit Neugier und Interesse knüpft sie Freundschaften.

Höflichkeit zu fordern und sich selbst schlecht zu benehmen, funktioniert allerdings nicht. Falsche Einstellung, Thema verfehlt. Genau das ist allerdings augenblicklich besonders bei jüngeren Menschen zu beobachten. Vereinfacht ausgedrückt herrscht das Denken vor: "Ich darf alles, du darfst nichts." Woher das kommt? Die Vermutung liegt nahe: Eine Frage der Erziehung. Das ist jedoch zu kurz gegriffen.

Es gibt keine guten Vorbilder

Die Gesellschaft selbst gibt kein gutes Vorbild ab. Strukturen funktionieren kaum noch, weil es allen und jedem recht gemacht werden soll. Eine unbedachte Bemerkung kann rassistisch, sexistisch, nicht gendergemäß, anstößig oder sonstwie daneben sein. Alle dürfen sofort aufschreien, sobald irgendetwas nicht passt. Kinder drohen schon mit Rechtsanwalt und zucken wehleidig zusammen, wenn trotzdem durchgegriffen wird. Sie sind es einfach nicht mehr gewohnt, dass sie nicht ihren Willen bekommen.

Kaum anders in der Politik. Alle Parteien riefen geschlossen dazu auf, einen Kandidaten von der CDU zu wählen, um einen AfD Mann als Landrat zu verhindern. Was, bitteschön, ist das denn für eine Demokratie, in der sich Politiker nicht anders zu helfen wissen, als den Menschen Angst zu machen? Versagen auf ganzer Linie. Besonders als Vorbilder. 

Aber fassen wir uns auch an die eigene Nase. Die wenigsten Menschen in unserer Gesellschaft engagieren sich noch ehrenamtlich. Nicht einmal mehr der Hälfte der Einwohner ist dieses Land freiwillige Arbeit wert. Woran das liegt, bedarf einer repräsentativen wissenschaftlichen Untersuchung. Vermutlich sind alle zu sehr damit beschäftigt, zu komsumieren, wie es die Marktwirtschaft verlangt. Arbeit und Konsum füllen den weitaus größten Teil des Tages für die meisten Menschen. Da bleibt kaum noch Zeit für Jugendarbeit, Kommunalpolitik oder die freiwillige Feuerwehr, um nur einige Möglichkeiten zu nennen. Nachwuchs fehlt allerorten.

Scheingefechte, die ins Leere laufen

Dabei steigt die Zufriedenheit deutlich, wenn man Gutes tut. Anders als beim Kauf von Konsumartikeln, die oft schon nach wenigen Tagen in der Ecke liegen. Doch die oberflächliche Befriedigung von Wünschen ist einfacher und schneller erledigt. Ähnlich einem Suchtverhalten. Über Generationen gelernt. Von der Politik gefördert. Unsere Gesellschaft ist geprägt vom Liberalismus und seinem Projekt der kommerziellen Globalisierung. Deshalb wird staatsbürgerliches Engagement nur oberflächlich hochgehalten und ist Höflichkeit nicht besonders wichtig. 

Gleichberechtigung, Genderwahn, selbst Umweltschutz und Kampf gegen den Klimawandel sind nur Scheingefechte, die letztlich ins Leere laufen. Sobald sie dem Konsum abträglich sind, werden sie zuerst be- und dann verhindert. Deshalb hat eine rechtsextreme Partei überhaupt eine Chance. Die Menschen spüren, dass diese Konsumwelt aus dem Ruder läuft. Sie verkennen allerdings, das rechte Parteien ebenso die Gunst dieser Konsumwelt brauchen, wie die der Mitte und sogar linke. 

Heute macht es leider keinen Unterschied mehr, bei welcher Partei die Wähler ihr Kreuz setzen. Unsere Gesellschaft wird bestimmt von der Konsum- und der Kulturindustrie in Zusammenarbeit mit der im Hintergrund agierenden Bürokratie. Die Parteien haben ihre Bedeutung inzischen fast vollständig verloren und liefern nur noch eine inhaltsleere Show zur Beruhigung der Bevölkerung.

Jeder kann zur Veränderung beitragen

Natürlich stellt sich die Frage, was sich unternehmen lässt, um die Demokratie wieder zu beleben. Die Antwort führt zurück zum Anfang dieses Posts. Seien wir im ersten Schritt höflich zueinander. Das weckt Interesse an den Mitmenschen. Wir könnten miteinander ins Gespräch kommen. Der Austausch führt zum Nachdenken und das Nachdenken zu mehr Engagement. Leider ist das die Kurzfassung. Der gesellschaftliche Weg ist viel länger und dauert seine Zeit. Aber es lohnt sich, damit zu beginnen.

Jeder kann dazu beitragen. Seid höflich im Umgang miteinander und neugierig aufeinander. Erfreut euch an der Vielseitigkeit der Menschen um euch her. Ihr könnt von ihnen lernen und sie von euch. Das allein ändert auf Dauer eine Menge.

Klingt naiv? Ist es auch. Denn wie das Beispiel oben zeigt, sind wir allein schon von der Höflichkeit weit entfernt. Die gute Nachricht aber lautet: Jeder kann sofort mit dem "Projekt Höflichkeit" beginnen. Einfach aufstehen und mit einem Lächeln durch die Welt gehen. Das hilft. Versprochen.

Donnerstag, 6. Juli 2023

Momente gehen nie wieder verloren

 

Seit es die Fotogrrafie gibt, können wir Moment immer und immer wieder erleben und gehen deshalb anders damit um
Momente - flüchtige Erscheinungen, die das Leben der Menschen bereichern. Jedenfalls waren sie das früher. Heute ist ihre Flüchtigkeit verschwunden. Momente werden auf Fotos festgehalten und millionenfach geteilt. Dadurch erleben sie nicht nur eine wahre Inflation, sondern verlieren auch ihren besonderen Zauber als unwiederbringliche Erlebnisse. 

Die Welt soll teilhaben

Oft erhalten Momente den Charakter von Inszenierungen. Was ist echt, was mit Blick auf die Betrachter gestellt? Wir können es nicht mehr unterscheiden. Momente werden gemacht, um in Fotobüchern aufbewahrt oder auf großen Bildschirmen als Diashow präsentiert zu werden. 
Die  Menschen konzentrieren sich kaum noch auf ihre Momente. Sie achten nur darauf, ob eine Szene gut ausgeleuchtet und perfekt gestaltet ist. Sei es ein Essen oder ein Rendezvous - die Welt soll, oder vielleicht sogar muss, teilhaben. Das Gefühl für den Augenblick ist der Angst gewichen, nicht Teil der Öffentlichkeit zu sein.

Virtuelle Zusammentreffen gegen Einsamkeit

Die Menschen tauschen den privaten Moment gegen eine gesteigerte Wahrnehmung. Damit überhöhen sie seine Bedeutung, verringern aber gleichzeitig seine Wirksamkeit. Denn die Kraft des Moments liegt gerade in der Intimität seines Erlebens. Indem die Menschen Einblick in ihr Leben geben, berauben sie sich ihres Rückzugsortes. Sie kommen kaum zur Ruhe. Ihre Gedanken kreisen um den nächsten Moment, den sie präsentieren müssen.
In Form des tragbaren Computers ist die Welt heutzutage immer dabei. Das verpflichtet zur aktiven Teilnahme. Die sozialen Medien ermöglichen und organisieren das virtuelle Zusammentreffen. Mehr noch, sie fordern immer wieder dazu auf. Sie entreißen den Menschen ihre Momente, um daran zu verdienen. Dafür versprechen sie globale Freundschaften gegen die Einsamkeit der technisierten Welt.

Ab zum nächsten Moment

Dieses Versprechen gegen das Vergessen bringt die Menschen dazu, ihr Leben mitzuteilen. Das Bedürfnis, im Netzwerk gehört zu werden ist größer als der Wunsch nach Momenten nur für sich selbst. Auf der Strecke bleiben Ruhe, Selbstbesinnung, private Erinnerungen und auch ein positives Gefühl des Alleinseins als Rückzugsort in sich selbst und Hort der Ausgeglichenheit. 
Hinzu kommt die Oberflächlichkeit, die aus der Masse an geteilten Momenten folgt. Daumen hoch, Herzchen, Smileys, Likes - das sind die üblichen Reaktionen. Manchmal vielleicht ein kurzer Kommentar. Ab zum nächsten Moment. Dennoch haben die Menschen das Gefühl, wahrgenommmen zu werden. Oft mehr als von Freunden und Familie im direkten Kontekt. Das liegt auch daran, weil die Menschen immer weniger Zeit zu haben glauben. Eine der Ursachen dafür ist allerdings das oftmalige Teilen ihrer täglichen Momente. 

Drei Tipps für mehr persönliche Momente

Es stellt sich also die Frage, wie sich persönliche Momente gerade heute bewahren lassen. Dazu drei einfach umzusetzende Tippe:
1. Einen privaten Raum definieren, aus dem heraus nichts geteilt wird. Das kann tatsächlich die eigene Wohnung sein, aber auch eine besondere Beschäftigung oder die Familie. Wichtig ist, sich an die eigene Beschränkung zu halten - und wenn der Enkel auch noch so süß in die Kamera blickt.
2. Ein Limit hilft, das Engagement in den sozialen Medien zu verringern. Zum Beispiel nicht mehr als drei Posts oder Tweets pro Tag zu senden oder nur eine Stunde pro Woche damit zu verbringen.
3. Das Mobiltelefon bewusst zu Hause lassen und einen schönen Tag ohne das Gerät mit Suchtgefahr verbringen. Auf diese Weise entstehen Momente, die auf keinen Fall geteilt werden können und nur in der eigenen Erinnerung existieren. Diese Momente sind im Rückblick besonders wertvoll.
Gibt es noch andere Möglickeiten, private Momente für sich ganz persönlich zu bewahren? Vermerken Sie Ihre Tipps gerne im Kommentarfeld.

Samstag, 1. Juli 2023

Körper und Geist gehen getrennte Wege

Körper und Geist gehen in unserer modernen Gesellschaft oft getrennte Wege.
"Lesen ist doch so wichtig", sagt eine ältere Dame unvermittelt im Zug mit Blick auf den jungen Mann neben ihr, der an seinem Notebook abwechselnd spielt, einen Job sucht und dabei telefoniert. "Bücher lesen, meine ich", ergänzt sie lächelnd. Doch der junge Mann reagiert nicht darauf. Vielleicht hat er sie schlichtweg überhört.

Das ist sicher eine der sichtbaren Erscheinungen unserer heutigen modernen Zeit: Bücher und Zeitungen verschwinden aus dem öffentllichen Raum. Haben früher in der Bahn die meisten Reisenden gelesen, sind nun Mobiltelefonie das häufigst genutzte Equipment. Kein Rascheln beim Umblättern der Zeitungen, kein Seufzer am Ende eines Romans. Nur das helle Licht der Bildschirme und durcheinander gemengte Stimmschnipsel von Telefongesprächen. Gelesen wird, wenn überhaupt noch, im stillen Kämmerlein. Vielleicht vor dem Einschlafen.

Das Smartdevice ist der Faustkeil der modernen Zeit

Verkehrte Welt. Das Private wird öffentlich, während er öffentliche Diskurs über aktuelle Artikel und umstrittene Werke angesagter Autoren immer mehr verstummt. Dafür erfahren Mitreisende, welche Tabletten Tante Erna nehmen muss und wie sehr Opa Emil unter Oma Olga leidet. Beziehungsprobleme werden im Abteil am Telfon besprochen und so manche Trennung bekommt der peinlich berührte Nebenmann zwangsläufig mit - auch wenn er sich wünscht, das Gespräch wie ein Radio abschalten zu können. Aber was ist ein Radio? Wer kennt das noch? Heute wird gestreamt und das Smartdevice, das vor Jahrtausenden noch ein einfacher Faustkeil war, verbindet uns heute mit der ganzen Welt.

Wohin der Faustkeil uns führte, ist hinlänglich bekannt. Doch wohin führt das Mobiltelefon die Menschheit? Einstweilen führt es uns fort - vom Lesen, von langen gedankenverlorenen Blicken aus dem Fenster, von Gesprächen mit zufällilgen Bekanntschaften. Unser Körper reisen umher, doch unser Geist schlägt eine andere Route ein.

Die meisten Menschen sind heute doppelt unterwegs

Wir leben in einer Zeit, in der Körper und Geist oft getrennte Wegen gehen. Der eine im Hier und Jetzt, der andere im virtuellen Irgendwo. Der Zug wird vom öffentlichen Raum, einem Ort der Begegnung, zu einer reinen Transportkabine degradiert. Und das ist nicht die einzige Herabstufung. Die Mitmenschen entwickeln sich von Gesprächspartnern zu Followern. Ihr Wert bemisst sich nach den Likes, die sie verteilen. 

In der virtuellen Welt werden Menschen damit zu Objekten, deren Aufgabe es ist, Zahlen zu erzeugen, um mehr Objekte zu binden. Kommunikation verarmt, weil es nur darum geht, Häkchen, Sterne oder vergleichbare Symbole zu setzen. Selbst Kommentare dienen vor allem der messbaren Interaktion.

Ein Gegenentwurf zur digitalen Welt

Diese Messbarkeit ist der stärkste Unterschied zwischen der virtuellen und der realen Welt. Jeder Schritt ist nachvollziehbar. Die Datenspur führt durch unser aller Leben und die Masse der Datenspuren durchleuchtet die Gesellschaft. Deshalb wird die Welt im Eiltempo digital. Sie lässst sich auf diese Weise bis ins Kleinste analysieren. Vielleicht wollen die Menschen dadurch ihre Urangst vor der Dunkelheitt bekämpfen. Jedenfalls bringt die Digitalisierung Licht auch in den kleinsten Winkel unseres Daseins. Mehr Objekt geht nicht. Während Kühe ihrer Milch wegen gemolken werden, saugt das Internet den Menschen die Daten aus. Deshalb sollen wir es möglichst ständig nutzen.

Der Gegenentwurf sollte also heißen: Lest mehr Zeitungen und Bücher, trefft euch, redet darüber, vor allem: Lasst eure Mobiltelefone dabei ausgeschaltet! Führt Körper und Geist wieder zusammmen, indem ihr beieinander seid. Zum Beispiel auch bei philosophischen Gesprächen. Berichtet darüber. Ladet neue Leute ein. Nutzt die digitalen Möglichkeiten, um die reale Welt zu beleben. 

Ich freue mich über eure Ideen und Kommentare. Wie wäre es mit einer Buchempfehlung oder Terminen zu euren Veranstaltungen?